Graf Saint Germain in der Literatur – Motive der Verschleierung

Graf Saint Germain in der Literatur  Friedhard Radam

Weltanschauung

Motive der Verschleierung

Sie sind sehr unterschiedlich, doch dürfte an hervorragender Stelle das Verbergen der Identität als Vorsichtsmaßnahme stehen. Diese Erfordernis wird eigenartigerweise in vielen Darstellungen nicht erkannt, obwohl sie auf der Hand liegt. An erster Stelle wird fast immer der Hang des Grafen zur Mystifikation genannt. Den besaß er sicherlich, doch übersieht man dabei, daß er verfolgt wurde. Man kann ihn guten Gewissens geradezu einen politisch Verfolgten nennen. Habsburg trachtete ihm als Erben eines Aufrührers möglicherweise nach dem Leben. Doch selbst wenn man eine Gleichung Saint-Germain = Rakoczy nicht akzeptiert, bleibt die Verfolgung durch (den französischen Außenminister) Choiseul, der gedroht hatte, ihn in die Bastille werfen zu lassen, bleibt weiterhin die Verfolgung in England als angeblicher Spion eben dieses Choiseul. – Schließlich und endlich wurde er auch von seinem eigenen Ruhm oder auch schlechten Ruf verfolgt. Das galt für alle Länder des Kontinents. Er hatte Publicity, darin ähnelte er den Stars unserer Tage, und nach den Berichten von Betroffenen zu urteilen kann diese Tatsache durchaus ein Grund sein, sich hinter einer Maske zu verstecken. — Taktische Gründe würden unbedingt ins Spiel kommen, wenn man gelten oder sich davon überzeugen laßt, daß der Graf Mitglied von Geheimbünden gewesen sei. Man muß aber in einigen Fällen gar nicht so weit gehen, denn wie seine diplomatische Mission in Den Haag zeigt, kann er durchaus als inoffizieller Abgesandter einer konventionellen Macht gehalten gewesen sein, im Ausland unter anderem Namen zu agieren. — Die Tendenz, sich interessant zu machen, möchte ich hier nicht ausschließen, denn manchmal war der Graf nicht Geheimnisträger, sondern Geheimnistuer – Und schließlich kann es auch pure Laune oder Spiel mit der Identität gewesen sein, die ihn bewogen haben, andere Masken anzulegen, die Persona zu wechseln. Hier findet der Übergang zum Okkulten statt, oder, um nicht ganz und gar aus dem Licht zu treten, zur Philosophie.
 Zu diesem Komplex möchte ich Alexander von Lernet-Holenia das Wort geben:


“Das Unbekannte“

– sagt er,

„läßt sich nicht mit größerem Recht bestreiten, als man daran glauben kann. Es ist aber anzunehmen, daß Saint-Germain von diesen Dingen genauere Vorstellungen gehabt habe. Seine Neigung, die eigene Persönlichkeit durch fortwährende Verwendung anderer Namen zu verwischen, spricht… dafür… Man vermutet, er habe sich selber nicht so sehr als einzelne, umgrenzte Person, wie vielmehr als eine Reihe von Personen betrachtet, welche, vom Reiche des Geistes abgesandt, im Laufe der Zeit in den verschiedenen Gestalten, aber immer im gleichen Auftrag, erschienen seien.“

Man kann das gleiche auch lustiger haben. Wenn wir Maximilian von Lamberg Glauben schenken können – was zweifelhaft ist, aber in diesem Zusammenhang keine so große Rolle spielt – hat St. Germain selbst die Satyrtöne dazu geliefert:

„Er soll zu Peking gewesen seyn, ganz und gar ohne einen Namen zu haben, und da ihm die Polizey anlag sich zu nennen, entschuldigte er sich damit, er wüste es selbst nicht wie er hieß. In Venedig sagt er, nenne man mich den Kinnstreichler, in Hamburg mein Herr, in Rom Monsignor, in Wien Pst, zu Neapel pfeift man mir, wenn man mich haben will, in Paris lorgnirt man mich, und bei diesem Zeichen nähere ich mich gerne denjenigen, die mich betrachten. Lassen Sie sich meinen Namen nicht irre machen, meine Herren Mandarinen, so lang ich mich bei ihnen aufhalte, werd ich mich so betragen, als wenn ich einen sehr berühmten hätte; ich mag Kunz oder Benz, Piso oder Cicero heißen, mein Name muß ihnen gleichgültig seyn.

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Redaktionell: 

Scan-Exemplar. Fußnoten aus techn. Gründen entfernt

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Rakoczy, Choiseul, Alexander Lernet-HoleniaJohann Maximilian von Lamberg,